"Wir sind Menschen und keine Zahlen"

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HELZ
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"Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von HELZ »

Hallo zusammen,

nachdem DB Regio in Scheswig-Holstein ja leider die Auschreibung verloren hat, haben sich nun die Mitarbeiter dazu geäußert.
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Ich selber arbeite auch bei DB Regio Nord, jedoch in einem anderen Netz. Unser Verkehrsvertrag geht noch bis 2029. Trotzdem ist man schon jetzt immer mit einem unguten Gefühl unterwegs da man nicht weiß wie es dann aussieht. Muss ich meinen Arbeitgeber wechseln? Muss ich umziehen um bei meinen Arbeitgeber zu bleiben? Erwischt mich der Sozialplan?
An einen Hauskauf/bau ist als Lokführer einfach nicht mehr zudenken.
Wohnortwechsel, zieht die Familie mit um?
Planugssicherheit? Was ist das!

Leider macht sich über sowas in der Politik absolut keiner mehr Gedanken....

Nachdenkliche Grüße
Tobias
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SwizZ
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von SwizZ »

Traurige Realität... :( Die Politik arbeitet schon länger nur für die eigenen Interessen und nicht für das Wohle der Bevölkerung. Das ist überall so und wird sich leider auch nicht so schnell ändern. Früher waren es die Könige, Landvögte und die Kirche - heute ist es die Politik mit ihren angeblichen Volksvertretern. Es geht nur noch ums Geld: Das gemeine Fussvolk ist ersetzbar und als unwichtige Marionetten für noch mehr Geld- und Machtanschaffung geduldet...
Torsten83
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von Torsten83 »

HELZ hat geschrieben: Di 18. Mai 2021, 12:34 Ich selber arbeite auch bei DB Regio Nord, jedoch in einem anderen Netz. Unser Verkehrsvertrag geht noch bis 2029. Trotzdem ist man schon jetzt immer mit einem unguten Gefühl unterwegs da man nicht weiß wie es dann aussieht. Muss ich meinen Arbeitgeber wechseln? Muss ich umziehen um bei meinen Arbeitgeber zu bleiben? Erwischt mich der Sozialplan?
An einen Hauskauf/bau ist als Lokführer einfach nicht mehr zudenken.
Wohnortwechsel, zieht die Familie mit um?
Planugssicherheit? Was ist das!
Hallo Tobias,

diese Bedenken betreffen nicht nur Lokführer und Bahn-Mitarbeiter, sie sind in der deutschen Wirtschaft in der Regel stärker geläufig. Ein sicherer Arbeitsplatz, dass ist letztlich nur noch das Beamtentum, das war die Bundesbahn mal - wo auch viele Strecken eingestellt wurden, also auch immer ein Umbruch von "Teams" stattgefunden haben muss. Das Team der Eisenbahner wird besonders bei Streiks doch immer wieder gehört oder verschafft sich Gehör - da wurde die letzten Jahre doch vieles bewirkt. Es gibt Betriebsübergänge auf neue Betreiber, ein Luxus von dem viele in anderen Branchen nur träumen können. Ich konnte bisher nirgends lesen, dass die Besitzstandswahrung zu echten Gehaltsverlusten geführt hätte.

Ein Beispiel aus der echten Wirtschaft, wo es aktuell auch um Betriebsübergänge geht:
Angestellte von real zittern schon seit Jahren um ihre Jobs und real wird im Sommer 2022 nun definitiv verschwinden - viele Mitarbeiter bekommen eine Weiterbeschäftigung bei den Käufern der übernommenen Märkte (Kaufland, Edeka und weitere). Angestellte der Verwaltung verlieren hingegen komplett ihren Job (morgen wird der Sozialplan dazu verkündet). Angestellte in Märkten, die keinen Käufer zum Weiterbetrieb gefunden haben, verlieren ebenfalls ihren Job - oftmals aus dem Pech heraus, dass die zusammengekaufte real (ehemals allkauf, massa, divi, real-kauf und etliche weitere) auch zahlreiche Doppelstandorte hatte und man nun blöderweise im schlechteren davon arbeitet. Bei einem Arbeitgeber, der also über Jahrzehnte in Deutschland mit hunderten Standorten vertreten war und immerhin noch mehr oder weniger Tarifgebunden war, mit einer starken Gewerkschaft, die mit Streiks auf sich aufmerksam machen wollte (Bedienungstheken waren teils mehrere Wochen dicht), die damit womöglich aber letztlich nur die Zerschlagung beschleunigt hat. Auch da hat man keine Sicherheit, dass das ewig so weiter geht - selbst ohne eine Insolvenz.
Und auch an übernommenen Standorten geht das Zittern der Angestellten noch weiter, wo die Käufer das Gebäude der real-Märkte nämlich abreißen und einen gänzlich neuen Markt errichten oder über 6 Monate für den Umbau brauchen, sind diese Angestellten der Märkte auch nach teils 3-4 Jahrzehnten ihren Job los, obwohl an der Stelle auch wieder ein Supermarkt aufmachen wird. Hierfür wird einfach der Markt lange genug für einen Umbau geschlossen gehalten. Da macht auch eine Edeka aktuell in Bremen mit, verschiebt die 100 Angestellten nicht auf andere Standorte - die können sich dort bewerben (als ob eine Edeka nicht genug Gewinn erwirtschaftet, um die Angestellten so lange woanders zu parken). Auch diese Mitarbeiter bei real (und vielen Einzelhändlern) haben in der Corona-Zeit voll durch gearbeitet, was keine besondere Leistung von ausschließlich Bahn-Mitarbeitern ist.
Im Umkehrschluss, haben Bahner in Streikzeiten ja aber auch bewusst in Kauf genommen, das es nicht so gut läuft für die, die auf die Bahn beruflich als Transportmittel angewiesen sind. Ein Streik muss weh tun, möglichst ja dem Arbeitgeber. Sinniger wäre es daher einfach nur die Ticket-Kontrollen im Zug zu unterlassen, was die darauf angewiesenen Beförderungsfälle nicht behindert zur Arbeit (und damit Einkommen) zu kommen, gleichzeitig aber die Einnahmenseite der Verkehrsunternehmen deutlich schwächen würde. Stattdessen werden aber eigentlich nur die Beförderungsfälle bestraft, das größere Defizit gleicht ohnehin der Bund aus.

Ich kenne auch keinen, der sich freute wegen Corona in Kurzarbeit zu Hause zu sitzen (mit im Normalfall erheblich weniger Geld) und sich Gedanken machen zu müssen, ob es seinen Job nach Corona noch weiter gibt. Was ich kenne, das sind die Sorgen derjenigen, die wegen Corona auf einmal auch überhaupt nicht mehr arbeiten durften (Kellner in einer reinen Bierkneipe zum Beispiel, da ist auch nichts mit Take-Away). 100% Kurzarbeit, in einem Beruf, wo du eh schon auf Trinkgeld finanziell auch angewiesen bist. Wo die Frage, ob der Arbeitgeber überhaupt diese Zeiten überstehen wird, sehr echt ist. Die DB AG fuhr weiter, weil sie weiter fahren sollte und das große Defizit übernimmt auch der Steuerzahler.

Haben es Bahnangestellte da im Vergleich nun wirklich so viel schlimmer und noch eine weitere Sonderbehandlung nötig? Jeder träumt doch von Sicherheit. Viel mehr Sicherheit als im System Bahn gibt es nicht in der freien Wirtschaft, ich kenne zumindest kein Beispiel.

Also ja: man kann immer noch mehr fordern und noch lauter jammern, aber in dem Falle ist es einfach jammern auf schon hohem Niveau.

LG
Torsten
graetz777
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von graetz777 »

Ich will jetzt nicht viel dazu schreiben aber in meiner Branche ist ein ständiger Firmenwechsel normal, weil alleine schon die schnellen Technologiewechsel eine Veränderung erfordern, die nicht immer beim bisherigen Arbeitgeber möglich ist.

Auch Einsätze fern der Heimat sind üblich. Jahrelang war ich nur am Wochenende zuhause. Durch Corona ändert sich das aber grade.

Ich habe aber auch nicht die Familie, die darunter leidet und mein Job wird auch entsprechend gut bezahlt. Aber zumindest ersteres Problem haben viele meiner Kollegen.

Fazit: Änderungen gehören bei mir zum Beruf. Mobilität auch. Das weitet sich dann eben auf andere Branchen aus. Ist halt blöd, wenn es eine bisherige Lebensplanung durcheinander bringt. Aber mein Leben hatte ich auch mal anders geplant.
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von zettie94 »

Das ist definitiv jammern auf hohem Niveau und nur die eine Seite der Medaille: Wenn durch den Wettbewerb von einem anderen Betreiber für das gleiche Geld plötzlich mehr Züge oder Züge mit mehr Komfort gefahren werden können, dann profitiert schlussendlich der Kunde und für den fährt die Bahn schlussendlich. Und gerade bei grossen staatlichen Unternehmen wie DB Regio ist definitiv viel Einsparpotenzial vorhanden, welches durch die Ausschreibungen teilweise erst aufgedeckt wird. Man könnte auch sagen: Hätte DB Regio bei der Ausschreibung einen besseren Job gemacht, hätten sie den Auftrag gar nicht erst verloren. Klar, da kann der einzelne Lokführer oder Zugbegleiter wenig dafür, das ist halt einfach die über die Jahre gewachsene Unternehmensstruktur.

Selbst in der Schweiz, wo wir im Personenverkehr auf der Schiene keinen echten Wettbewerb haben, hat alleine die Drohung von BLS und SOB, wieder in den Fernverkehr einsteigen zu wollen, zu einigen signifikanten Verbesserungen für den Kunden geführt. So fährt die SOB neu im Auftrag der SBB den Fernverkehr über die Gotthard-Bergstrecke mit komfortablen Fahrzeugen und Direktverbindungen nach Zürich und Luzern - Basel, während die SBB auf dieser touristisch sehr interessanten Strecke vorher einen Regionalzug mit S-Bahn-Komfort und Umsteigezwang in Erstfeld betrieben hat.

Schlussendlich hängt für den Mitarbeiter weniger davon ab, ob sein Unternehmen mit roten oder gelben Fahrzeuge fährt, sondern was ihm das Unternehmen bietet (Lohn, Karrierechancen, Arbeitsort, Zusatzleistungen, usw). Hier muss die Politik natürlich bei der Ausschreibung klare Kriterien definieren, dass eben kein teilnehmendes Unternehmen für die Mitarbeiter deutlich schlechter sein darf. Wenn aber die Rahmenbedingungen stimmen, dann überwiegen im durch den Steuerzahler subventionierten Regionalverkehr meiner Meinung nach insgesamt die Vorteile der Liberalisierung.

@Keven: Gerade du als Schweizer solltest dich über die Politik nicht so beschweren - "die Politik" ist in der Schweiz die Bevölkerung (bzw. der Teil davon, der sich an Abstimmungen und Wahlen beteiligt) und wenn die Bevölkerung für die eigenen Interessen arbeitet, dann erfüllt die direkte Demokratie ihre Aufgabe.

Gruss, Julian
David
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von David »

zettie94 hat geschrieben: Do 20. Mai 2021, 00:07 @Keven: Gerade du als Schweizer solltest dich über die Politik nicht so beschweren - "die Politik" ist in der Schweiz die Bevölkerung (bzw. der Teil davon, der sich an Abstimmungen und Wahlen beteiligt) und wenn die Bevölkerung für die eigenen Interessen arbeitet, dann erfüllt die direkte Demokratie ihre Aufgabe.

Gruss, Julian
Guten Morgen Julian
Auch ich bin Schweizer und stolz auf unser Politsystem. Möchte kein anderes. Aber so schön wie du schreibst ist es zwischenzeitlich nun auch nicht mehr. Praktisch jeder unser Politiker im Stände- und Nationalrat hat sein lobbystischen Hintergründe und demzufolge seine Interessenkonflikte. So haben wir Schweizer im Grunde die ähnlichen Probleme in der Politik wie unsere Nachbarländer.
Aber wie gesagt: besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
SwizZ
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Re: "Wir sind Menschen und keine Zahlen"

Beitrag von SwizZ »

David hat geschrieben: Do 20. Mai 2021, 06:58
zettie94 hat geschrieben: Do 20. Mai 2021, 00:07 @Keven: Gerade du als Schweizer solltest dich über die Politik nicht so beschweren - "die Politik" ist in der Schweiz die Bevölkerung (bzw. der Teil davon, der sich an Abstimmungen und Wahlen beteiligt) und wenn die Bevölkerung für die eigenen Interessen arbeitet, dann erfüllt die direkte Demokratie ihre Aufgabe.

Gruss, Julian
Guten Morgen Julian
Auch ich bin Schweizer und stolz auf unser Politsystem. Möchte kein anderes. Aber so schön wie du schreibst ist es zwischenzeitlich nun auch nicht mehr. Praktisch jeder unser Politiker im Stände- und Nationalrat hat sein lobbystischen Hintergründe und demzufolge seine Interessenkonflikte. So haben wir Schweizer im Grunde die ähnlichen Probleme in der Politik wie unsere Nachbarländer.
Aber wie gesagt: besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Danke David - dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Gruss aus der Innerschweiz ;)
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